Der Bedarf an Leichtbaumaterialien steigt kontinuierlich, insbesondere im Transportsektor, der einen großen Teil zu den globalen CO2 Emissionen beiträgt. Wenn Fahrzeuge aus leichteren Materialien gebaut wären, könnten sie weitere Distanzen mit einem geringeren Energieverbrauch zurücklegen, unabhängig davon ob das Fahrzeug mit fossilen Brennstoffen angetrieben wird oder der Strom aus der Steckdose kommt. Dadurch werden Ressourcen und CO2 Emissionen gespart sowie die Reichweiten von elektrisch betriebenen Fahrzeugen verbessert. Deshalb wird konsequenter Leichtbau für alle mobilen Anwendungen immer wichtiger. In der Erforschung leichter Materialien wurden durch die Entwicklung von glas- oder kohlefaserverstärkten Kunststoffen, die sich durch ihr niedriges spezifisches Gewicht bei gleichzeitig hohe Steifigkeit und Festigkeit auszeichnen, schon deutliche Fortschritte erzielt. Solche Verbundwerkstoffe bestehen aus den Glas- oder Kohlefasern und, als Hauptbestandteil, der sogenannten Matrix, einem Kunststoff der die Fasern umhüllt. Jedoch gibt es bei der Frage der Anhaftung von Fasern und Matrix oft noch Optimierungsbedarf. Die Verbindung ist normalerweise rein physikalisch, was dazu führt, dass das Material unter hohem Stress oder entsprechenden Belastungen auseinander reißt oder springt. Forscher des Instituts für Mikrosystemtechnik (IMTEK) und des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik (IWM) ersannen deshalb eine Idee, die hier Abhilfe verschaffen sollte. Ziel war die Entwicklung eines molekularen Klebstoffs, der eine chemische Verknüpfung der Faser mit der Matrix bewirkt. Um das umsetzen zu können, haben sich die Forscher im Pilotprojekt „Verbesserte Leichtbaumaterialien durch Modifikation des Faser-Matrix-Interfaces zur Steigerung der Festigkeit“ des Leistungszentrums Nachhaltigkeit Freiburg zusammengeschlossen.
„Wir haben die Arbeit aufgeteilt, um die verschiedenen Fähigkeiten der Kollegen zu nutzen. Die Forscher der Universität waren damit befasst, die chemische Synthese und Charakterisierung des neuen Materials durchzuführen. Das Fraunhofer IWM hat dann die mechanischen Messungen und Simulationen der Verbundmaterialien übernommen“, schildert Prof. Dr. Jürgen Rühe vom IMTEK die Aufgabenteilung. Darüber hinaus wollten die Forscher allerdings auch ein funktionales Recycling der Werkstoffe nach dem Cradle-to-Cradle Konzept („Von der Wiege zur Wiege“) ermöglichen. Mit Cradle-to-Cradle ist gemeint, dass alle Werkstücke nach dem Gebrauch in die Ausgangskomponenten zerlegt und erneut zum Aufbau neuer Werkstücke verwendet werden können und so ein vollständiger Kreislauf geschlossen werden soll. Zudem sollte der Klebestoff möglichst vielfaltig anwendbar sein, nicht nur in der Automobilindustrie. „Das Tolle daran ist, dass wir das Material einfach nach Bedarf anpassen können, je nachdem, was potentielle Anwender nachfragen“, erklärt Prof. Rühe weiter.
Der sogenannte „Klebeprozess“ besteht aus einer gleichzeitigen Reaktion von Oberflächengruppen auf der Faser mit dem Kleber, dem Vernetzen innerhalb der Kleberschicht und der Ausbildung chemischer Bindungen an das Matrixpolymer durch sogenannte C-H Einschubreaktionen (‘C,H-insertion crosslinking‘, CHic-Reaktion). Die so erhaltene chemische Verbindung zwischen dem Substrat mit den Polymermolekülen und der Matrix mit reaktions-freudigen Gruppen, entsteht durch die Aktivierung von in den „Kleber“ eingebauten chemischen Gruppen mittels Wärme oder Licht. Dadurch wird die Form und interne Struktur des Materials stabilisiert. Das neuartige Material entsteht in drei Schritten. Zuerst werden Fasern mit der Beschichtung überzogen, dann werden sie mit der Kunststoff-Matrix umhüllt und zuletzt wird die Verbindung zwischen diesen Komponenten mittels Licht oder Wärme aktiviert.
Die Beschichtung der Fasern ist, wie Rühe beschreibt, der Schlüssel-Faktor. Unter anderem mussten dazu der Einfluss von den Prozessparametern auf die Dicke der Beschichtung und der Ablauf des Aktivierungsprozesses im Detail untersucht werden. Um diese Thematik weiter zu bearbeiten, haben die Forscher des Fraunhofer IWM und der Universität verschiedene Kombinationen aus Fasern, Kunststoff und Beschichtung untersucht. Dabei haben sie Eigenschaften von einzelnen beschichteten Fasern analysiert, analysiert wie gleichmäßig die Beschichtung aufgetragen sein muss und wie gut die Schichten haften. Zudem haben die Forscher die Struktur des Materials in einer Simulation auf Grenzflächen-Belastungen untersucht. Dadurch konnten sie einen möglichen Bruch visualisieren und genau benennen, wo die Schwäche des Materials liegt. Das IWM-Team konnte auch erfolgreich die ersten Proben der Verbundwerkstoffe produzieren und untersuchte deren Verhalten bei Belastungen.
„Ein spannendes Anwendungsgebiet für die neuartigen Materialien könnte auch im bio-medizinischen Bereich liegen. Wir hätten hier viele Anwendungsmöglichkeiten bei sogenannten Hydrogelen oder in einer blutverträglichen Ausgestaltung von medizintechnischen Oberflächen“, erklärt Prof. Rühe. Hydrogele, d.h. wasserquellbare polymere Netzwerke werden in der Medizin verwendet, um bioanalytische Oberflächen herzustellen oder als Beschichtung von Implantaten um eine gute Anpassung an die biologische Umgebung zu ermöglichen. Es kommt aber bei herkömmlichen Hydrogelen häufig vor, dass der Kontakt zwischen der Beschichtung der Hydrogels und dem unterliegenden Substrat abreißt und die Schichten sich ablösen. Diese Trennung kann in manchen Fällen zu großen Schäden führen. Von daher wäre der Einsatz derartig kovalent gebundener Schichten vorteilhaft.
Kern des aktuellen Projekts im Nachhaltigkeitszentrum waren jedoch klassische Leichtbauteile. Unter anderem könnten Autos und Flugzeuge in der Zukunft dieses Verbundmaterial enthalten und durch ein geringes Gewicht eine erhebliche Energieeinsparung bewirken. Neben der Ressourcenschonung durch das geringe Gewicht kam noch ein weiterer Aspekt der Nachhaltigkeit der Materialien hinzu und stellte einen weiteren wichtigen Forschungsschwerpunkt für das Pilotprojekt dar: Wenn als Matrix ein schmelzbarer oder löslicher Kunststoff verwendet wird, ist es möglich, ihn nach Ende der Lebensdauer des Werkstücks/Bauteils einfach von den Fasern zu trennen und dann beide Komponenten erneut zu verwenden. Das Interessante daran ist, dass die Beschichtung immer wieder neu auf die Fasern aufgetragen werden kann. Wenn man diese wiederbeschichteten Fasern in eine neue, vielleicht sogar andere Matrix einfügt, findet der gleiche Verbindungsprozess wie zuvor statt. Dieser Prozess kann über mehrere Lebenszyklen wiederholt werden.
Somit ist ein wichtiger erster Schritt gemacht. Allerdings müssen die Forscher weiter an dieser Thematik arbeiten um die Systeme für eine praktische Verwendung auf großflächigen Teilen vorzubereiten. „Wir haben aber schon viele Ergebnisse in den letzten drei Jahren erreichen können“, berichtet Rühe stolz. Die Zusammenarbeit hat die vorherige Beziehung zwischen Fraunhofer und der Universität noch mehr gestärkt und die Forscher freuen sich auf die Möglichkeit, in Zukunft weiter zusammen zu arbeiten.