Leichtbauforschung wird von immer größerer Bedeutung innerhalb der Wissenschaft. Forscher weltweit versuchen neue Verbundwerkstoffe (Komposite), Kombinationen und Werkstoffe herzustellen, die möglichst optimal für verschiedene Anwendungen geeignet sind. Unter den Leichtbaumaterialien findet man unterschiedliche Mischungen aus Kunststoffen, wie zum Beispiel einige Arten von Hochleistungspolymeren u.a. Polymerfasern mit ausgezeichneten mechanischen Eigenschaften. Ein bekanntes Beispiel eines solchen Hochleistungspolymers ist PPTA (Poly(p-phenylenterephtalamid)) woraus Kevlar® besteht. Die Polymerketten in solchen Werkstoffen werden in der Richtung der mechanischen Belastung ausgerichtet, was zu wünschenswerten mechanischen Eigenschaften (Steifigkeit, Festigkeit, usw.) führt. Diese Hochleistungsfasern können zu Geweben, Laminaten und Faserverbünden verarbeitet werden. Und das ist optimal für Leichtbau, denn die Fasern und die sie umgebenden Kunststoffe, die sogenannte Matrix, sind sehr viel leichter als Metalle mit vergleichbaren mechanischen Eigenschaften. Allerdings sind sie auch problematisch in der Wiederverwertung und lassen sich nicht einfach recyceln. Polyolefine hingegen sind einfach wiederverwertbar. Diese Polymere zeichnen sich gegenüber anderen Materialien durch ihre Vielseitigkeit aus. Außerdem werden sie in hoch energie- und ressourceneffizienten Polymerisationsverfahren mit geringem Energiebedarf produziert. Bei diesem Prozess entstehen keine umweltbelastenden Nebenprodukte und Lösungsmittel. Der sogenannte „Carbon-Footprint“ in der Herstellung ist gering und die hohe Kosten-, Öko- und Energieeffizienz verleiht diesen Werkstoffen weitere Attraktivität. Um allerdings ähnlichen Belastungen standhalten zu können wie Metalle, brauchen Polyolefine oft einen Füllstoff oder andere Fasern. Und im Verbund entsteht hier erneut das Problem der schlechten Wiederverwertbarkeit.
An dieser Stelle hatte Prof. Dr. Rolf Mülhaupt, Direktor des Instituts für Makromolekulare Chemie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und weltweit renommierter Chemiker eine geniale Idee. Es ging ihm darum, in einem hoch energie- und ökoeffizienten Verfahren zu 100% recycelbare „all Polyethylen“ Verbundwerkstoffe für den nachhaltigen Leichtbau zu erzeugen und charakterisieren. Dazu bildete Mülhaupt gemeinsam mit Partnern des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM und der Firma Lyondellbasell ein Projektteam, um diese Thematik gemeinsam im Rahmen des Pilotprojekts „susCOMP: Sortenreine Molekulare Verbundwerkstoffe für den nachhaltigen Leichtbau“ des Leistungszentrums Nachhaltigkeit Freiburg (LZN) zu bearbeiten. Dessen Ziel war es, innerhalb von drei Jahren verschiedene Polyethylen-Reaktorblends beziehungsweise Mischungen aus Polymerfraktionen an makroskopischen Proben zu untersuchen, um so feststellen zu können, welches Vorgehen optimal für den nachhaltigen Leichtbau wäre.
„Mülhaupt hatte die Idee, eine Mischung aus PE (Polyethylen), UHMWPE (ultrahochmolekularem Polyethylen) und PE Wachs als Verbundwerkstoff zu entwickeln“ erklärt Dr. Raimund Jaeger vom Fraunhofer IWM. „Und um da die richtige Mischung hin zu bekommen, ist eine gewisse Kunst erforderlich.“ Als „Blend“ wird die Mischung unterschiedlicher Polymere bezeichnet, die im Gegensatz zu den ursprünglichen Polymeren vollkommen andere Eigenschaften aufwiesen können – also genau das, was die Forscher haben wollen. Die entstehende Mischung ist dann spritzgussfähig und formt die Basis für verschiedene Strukturen aus hochorientierten Fasern wie zum Beispiel Shish-Kebab-Strukturen, die tatsächlich so heißen, weil sie wie ein Dönerspieß geschichtet sind (siehe Abbildung 01). Diese Form wird durch die Scherströmung im Spritzguss erzeugt. Im susCOMP Projekt wollten die Forscher neue Möglichkeiten, die es zur Verbesserung von mechanischen Eigenschaften gibt, untersuchen. Zuerst mussten sie die Herstellung von sogenannten ternären Blends aus den drei obengenannten Molekülen (PE, UHMWPE, PE-Wachs) möglich machen. Zweitens wollten sie untersuchen, was für Eigenschaften eine Mischung von HDPE (high density polyethylene oder Hart-Polyetheylen) mit einem binärem Reaktorblend erzeugen würde. Als nächstes wollten sie ein Reaktorblend mit Tribologieadditiven herstellen. Viertens wollten sie die mechanischen Eigenschaften der Reaktorblends untersuchen, vor allem, wie oder ob diese sich unter Crashbelastung ändern. Um adäquater Ersatz für klassische Verbundwerkstoffe sein zu können, müssen sortenreine Verbundwerkstoffe eben auch Belastungen standhalten, wie sie bei Autounfällen auftreten. Dazu wollten die Forscher auch die passenden Materialmodelle entwickeln. Als letztes Ziel wollte das susCOMP Team die tribologischen Eigenschaften des Reaktorblends untersuchen, insbesondere im Hinblick auf Reibung und Verschleiß. Als übergeordnetes Ziel wollten die Forscher auch die Struktur-Eigenschaftsbeziehungen im Auge behalten. Die aufgeführten Fragestellungen sollten sowohl experimentell als auch mit Hilfe numerischer Simulationen beantwortet werden.
Was die Forscher sich zu einem erhofft hatten war, dass das PE-Wachs wie ein Schmiermittel wirken würde. Zur Beantwortung der ersten Frage untersuchten die Forscher viele verschiedene Mischungen um herauszufinden, welche davon die passendsten Eigenschaften aufweisen würde. Die ersten Ergebnisse dazu waren, wie Dr. Jaeger es beschreibt, „nicht überraschend. Je größer der UHMWPE-Anteil in der Mischung war, desto besser dessen mechanische Eigenschaften.“ Das konnte unter anderem bei der Untersuchung der Verschleißrate beobachtet werden, welche sich deutlich verbesserte, je größer der UHMWPE-Anteil war. Damit konnten Ergebnisse vergangener Projekten bestätigt werden. Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass einer der Blends, der in die Richtung eines Polyamids ging, also einer bestimmten Polymerstruktur, im Vergleich zu reinem HDPE deutliche bessere Eigenschaften aufwies.
Dr. Jaeger zeigt sich insgesamt sehr zufrieden mit diesen Ergebnissen. „Der Ansatz solcher sorten-reinen Komposite ist vielversprechend, wir könnten damit zum Beispiel sogenannte ‚molekulare Superstrukturen‘ herstellen. Allerdings gibt es da noch ein paar Einschränkungen.“ Zum Beispiel ist der Schmelzpunkt des Blends eine Herausforderung. Die kristallinen Strukturen können bisher nur bis zu Temperaturen von 80°C ihre mechanischen Eigenschaften beibehalten, bei höheren Temperaturen sind sie also aktuell nicht verwendbar. Und damit auch für Anwendungen in sicherheitskritischen Bereichen, bei denen nicht sichergestellt werden kann, dass die Temperaturen nicht höher steigen, nicht einsetzbar.
Eine positive Eigenschaft des entwickelten Blends besteht in der Möglichkeit zu einem „Upcycling“. Mit Upcycling ist sozusagen eine „verbesserte“ Verwendung der Werkstoffe gemeint. Etwa wenn diese zunächst nur als Füllstoffe in der Asphaltherstellung dienen, im nächsten Schritt aber als Materialien im Automobilbau Verwendung finden. Da alle Teile des Blends aus dem gleichen Werkstoff sind (Polyethylene), kann man quasi von Null wieder anfangen, wenn man sie zurück in die originalen Bausteine verwandelt. Im Prinzip sind sie komplett neu verwendbar, da man am Ende sozusagen wieder „jungfräuliches Material“ habe, wie Dr. Jaeger erklärt.
Innerhalb der drei Jahre haben Mülhaupt, Jaeger und ihre Kollegen ungefähr 30 verschiedene Werkstoffkombinationen ausprobiert und im Hinblick auf ihre mechanischen Eigenschaften untersucht. Darüber hinaus existiert aber noch eine Fülle an weiteren, möglicherweise geeigneten Mischungen. Deshalb denken die Forscher bereits über ein Folgeprojekt nach. Zumal auch vonseiten der Industrie großes Interesse an den Ergebnissen des Projekts bekundet wurde.