Was Holz, Erbsen und Fleischersatzprodukte miteinander zu tun haben – Ergebnisse des Pilotprojekts Lignin

Eigentlich sollte es darum gehen, wie Lignin, ein pflanzliches Abfallprodukt der Papierherstellung, für neue, industrielle Verfahren genutzt werden kann. Als die Forscher des Leistungszentrums Nachhaltigkeit Freiburg aber feststellen, dass dieses Thema zu komplex ist, um es im Rahmen ihres Projekts untersuchen zu können, haben sie eine geniale Idee: Warum nicht mithilfe derselben Technologie Fleischersatzprodukten eine fleischähnlichere Konsistenz verleihen? Denn je weniger Menschen sich von Fleischprodukten ernähren, desto besser für die Umwelt. Mithilfe von Experimenten im Labor und aufwendigen Computersimulationen ist es den Forschern gelungen, genau dafür wichtige Grundlagen zu schaffen. In einem nächsten Projekt wollen sie ihre Ideen jetzt noch weiter entwickeln.

Lignin ist ein Nebenprodukt der Papierherstellung, das zu 98 % nicht weiter verwendet, sondern verbrannt wird. Die Verbrennung spielt eine wichtige Rolle als Energiequelle in der Herstellung von Papier, aber es stellt sich die Frage, ob Lignin nicht auch selbst ein wertvoller – und ohnehin in großen Mengen verfügbarer – Rohstoff für industrielle Anwendungen sein könnte. Mit genau solchen Fragen beschäftigt sich die Gruppe von Marie-Pierre Laborie von der Professur für Forstliche Biomaterialien an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Die Forscher hatten die Idee, Lignin so zu verarbeiten bzw. mit einem anderen Stoff zu vermischen, dass es in typischen industriellen Verarbeitungsverfahren wie z. B. dem immer wichtiger werdenden 3D-Druck als Rohstoff anwendbar ist. Zur Umsetzung ihrer Idee brauchten die Naturwissenschaftler um Prof. Laborie aber noch Forscher, die sich mit 3D-Druck und der Simulation solch komplexer Herstellungsprozesse auskennen. An dieser Stelle kam das Leistungszentrum Nachhaltigkeit Freiburg ins Spiel. Diese Kooperation aus den fünf Freiburger Fraunhofer-Instituten und der Uni bot Prof. Laborie die ideale Gelegenheit, passende Partner für ihre Projektidee zu finden. Dr. Georg Ganzenmüller und sein Team vom Fraunhofer EMI bzw. der Professur für Nachhaltige Technische Systeme an der Uni Freiburg  waren von der Idee ebenso überzeugt, wie die Auswahljury des Leistungszentrums, so dass die beiden Partner in den vergangenen drei Jahren gemeinsam das Pilotprojekt des Leistungszentrums Nachhaltigkeit Freiburg „Nutzung von Lignin als Ausgangsmaterial für einen biologisch basierten Kunststoff“ umsetzen konnten.

Schon am Anfang des Projekts wurde klar, dass die benötigten Verfahren sowohl experimentell als auch mithilfe verschiedener Computersimulationen untersucht werden mussten. „Am Computer ist es viel einfacher und kostengünstiger, die Parameter der Bestandteile des Prozesses immer wieder zu variieren als im Labor, wo jedes Experiment Zeit und Geld kostet“, erläutert Dr. Ganzenmüller. „Gleichzeitig lassen sich Simulationen am Computer aber nur durchführen, wenn zunächst wichtige Eingangsparameter experimentell bestimmt wurden.“ Deshalb wurden zwei parallel arbeitende Teams etabliert – eins im Labor und eins vor dem Rechner – um möglichst effizient arbeiten zu können. Zunächst wurde entschieden, sich statt des 3D-Drucks auf eine Herstellung im sogenannten Extruderverfahren zu konzentrieren – ähnlich des Prinzips mit dessen Hilfe sich Knete durch vordefinierte Formen pressen lässt.  Im Labor arbeiteten Prof. Laborie und ihre Kollegen daran, eine phasenseparierte Mischung aus Zellulosederivat und Lignin zu bilden und zu untersuchen. Eine solche Mischung würde über eine erheblich reduzierte Viskosität im Vergleich zu reinem Lignin verfügen. Eine nicht zu große Viskosität, das heißt Zähflüssigkeit, ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwendbarkeit eines Materials im Extruderverfahren. Darüber hinaus sollte das Universitätsteam die grundlegende Chemie des Verfahrens untersuchen. Geplant war, dass die Laborarbeit ungefähr ein halbes Jahr der gesamten Projektlaufzeit von drei Jahren in Anspruch nehmen sollte.

Die aufkommenden Fragestellungen konnten jedoch nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit beantwortet werden. „Wir haben schnell gemerkt, dass die Laborforschung  aber auch die notwendigen Computersimulationen bei weitem zu zeitaufwendig und komplex waren, um sie innerhalb des Projektzeitraums erfolgreich abschließen zu können“, schildert Dr. Ganzenmüller die Problematik. „Alleine die Herstellung der phasenseparierten Mischung aus Zellulosederivat und Lignin, erforderte bereits jahrelange experimentelle Forschung.“ Auch die Computersimulationen dazu erwiesen sich als viel komplexer und umfangreicher als vorhergesehen. Eine konkrete Herausforderung für das Fraunhofer-Team bestand beispielsweise in der Skalierung der Simulation der Phasenseparierung. Zur adäquaten Simulation der Phasenseparierung inklusive alle genaueren Details, wäre eine sehr feine Auflösung im Mikrometerbereich notwendig. Bei einer interessierenden zu beobachtenden Objektgröße von einigen Zentimetern wäre eine immense Rechenleistung und sehr viel Zeit nötig, um eine zufriedenstellende Auflösung erzielen zu können. Daher entschieden sich die Forscher dazu, diese Herausforderung mittels eines neuen mathematischen Simulationsmodells zu überwinden. Der mathematische Ansatz sollte das ganze System homogenisieren und dadurch vereinfachen.

Aber auch die Entwicklung eines solchen Modells erwies sich als alles andere als trivial. „Eine Besonderheit des Extruderverfahrens besteht darin, dass zu Beginn mit einem fluiden Material gearbeitet wird, welches im Lauf des Verfahrens zu einem Feststoff wird. Für beide Zustände existieren eigenständige Simulationsmethoden, die nur jeweils einen Zustand abbilden können. Um den gesamten Prozess zu verstehen, mussten wir deshalb sogenannte ‚netzfreie Methoden‘ verwenden, in der beide Zustände gleichzeitig betrachtet werden können“, führt Dr. Ganzenmüller aus. Noch bevor diese unkonventionelle Methode eingesetzt werden konnte, haben die Forscher festgestellt, dass noch jede Menge Arbeit an der Methodik selbst nötig war, um sie für diesen speziellen Fall anwenden zu können. Diese Aufgabe hat José Luis Sandoval Murillo, Doktorand am Fraunhofer EMI, übernommen. Mithilfe verschiedener, komplizierter mathematischer Gleichungen und nach einiger investierter Zeit und Mühe ist es ihm gelungen, die grundlegende Methodik zu programmieren. Zur ursprünglich geplanten Verwendung der Methodik kam es aber aufgrund der oben geschilderten Schwierigkeiten nicht. Eine wichtige wissenschaftliche Erkenntnis der Arbeit lag jedoch darin, besser erkennen zu können, welche Phasenstrukturen im Festkörper unter welchen Bedingungen im Extruderverfahren entstehen. Sie könnte künftig eine gezielte Anpassung der Parameter im Extruderverfahren ermöglichen und damit dabei helfen, bestimmte, spezifisch auf den Anwendungszweck hin optimierte, Strukturen herzustellen.

Obwohl die eigentlichen Ziele des Forschungsprojekts also nicht erreicht wurden, hat sich aus den Ergebnissen eine neue Fragestellung für die Forscher ergeben. Denn wie wäre es, wenn man die entwickelten Modelle und die mit deren Hilfe möglich gewordene exakte Festlegung von Strukturen in einem anderen Medium anwenden würde? In diesem Zusammenhang kam das Team von Fraunhofer EMI dann auf die Idee, die entwickelte Methodik zur Optimierung von Fleischersatzprodukten zu nutzen. Solche Fleischersatzprodukte oder Fleischimitate versuchen, Fleisch bzw. Fleischprodukte möglichst ähnlich nachzuahmen. Das gilt für Nährwerte, Geschmack und Geruch, aber auch die Konsistenz der Produkte. Fleischimitate bestehen zum großen Teil aus denaturiertem Pflanzen- oder Pilzprotein, das durch Behandlung im Extruder eine fleischähnliche Konsistenz und teilweise durch Zugabe von Aromen einen fleischähnlichen Geschmack erhält. Derartige Produkte sind momentan ein prominentes Betätigungsfeld in der Forschung, da im Zuge zunehmend vegetarischer Ernährung immer mehr Nachfrage danach entsteht. Gerade die Konsistenz von solchen Produkten ist wichtig, da eine „fleischartigere“ Konsistenz tendenziell mehr Leute ansprechen würde, als die „matschige Masse“, als die Fleischersatz bisher häufig daherkommt. Das Uni Team hat weiter mit dem Thema Nutzung von Lignin für den 3D-Druck gearbeitet und konnte zumindest beispielhaft zeigen, dass die Lignin-Zellulosederivat-Mischung durch einen 3D-Drucker gepresst werden kann.

Die Überlegung der Forscher war, ihr mathematisches Modell so zu erweitern und zu modifizieren, dass es auf aus Gemüseproteinen bestehende Fleischersatzprodukte anwendbar ist. „Wir wollten die Gemüseproteine in einem Extrusionsverfahren verarbeiten und dabei den Einfluss von Parametern wie Viskosität, Strom- und Temperaturgradienten und Phasenseparation auf die resultierenden Produkte untersuchen“, so Dr. Ganzenmüller. Der dazu verwendete Kochextrusionsprozess besteht aus drei Phasen: der Vermischung von Gemüseproteinpulver mit Wasser in einem sogenannten Doppelschnecken-Extruder, der Erwärmung der Mischung in der sogenannten „Koch-Zone“ des Extruders und der Abkühlung, während der die entstandene Masse durch eine formgebende Öffnung ins Freie gedrückt wird. Aus diesem Prozess entsteht eine Masse mit einer faserartigen Struktur, die dem Konsumenten das Gefühl geben soll, echtes Fleisch zu kauen.

Die Forscher entschieden sich dazu, Erbsenproteine (Pisum sativum L.) als pflanzliches Ausgangsmaterial für ihre Untersuchungen zu benutzen. „Erbsen sind robust und pflegeleicht, sie brauchen wenig oder gar keinen Dünger und sie werden bei uns angebaut“, erklärt Dr. Ganzenmüller diese Wahl. „Damit sind sie besonders gut für ein nachhaltiges Produkt geeignet.“ Zwar gibt es bereits etablierte Hersteller von Fleischersatzprodukten in Deutschland und Europa, aber deren Produktionsprozesse und Rohstoffe haben mit ökologischen Probleme in der Herstellung zu kämpfen, etwa Waldabholzung. Es bedarf also neuer Alternativen – wie zum Beispiel der, Erbsenproteine im Extrusionsprozess mithilfe neuer Modellierungsansätze sehr viel fleischartiger zu gestalten.

Der entscheidende Mechanismus dafür ist die Phasenseparation. Die experimentellen Untersuchungen ergaben, dass besonders ein Parameter von hoher Bedeutung für die Konsistenz der resultierenden Masse ist, nämlich die Temperatur. Es wurde festgestellt, dass die Temperatur des Gemischs am Zugang des Extruders einen direkten Einfluss auf die Struktur des Extrudats hat. Bei einem Versuch mit einer Eingangstemperatur von 120 °C bildeten sich keine deutlichen Fasern (siehe Abbildung 1, links). Bei einer höheren Eingangstemperatur von 160 °C aber entstand die erwünschte lamellenförmige Struktur (Abbildung 1, rechts). Zudem wurde ein großer Teil des Wassers aus der Masse entfernt. Die lamellenförmigen Schichten wurden erst sichtbar, nachdem das Wasser entfernt wurde. Neben der Temperatur zeigte sich auch der Stromgradient, also die Richtung der Strömung als relevanter Parameter. Durch die Reibung an den Wänden im Rohr entsteht eine definierte Strömung und diese wiederum führt zu Streifen in der Masse, die je nach Strömung unterschiedlich ausgeformt sind. Dr. Ganzenmüller zeigt sich begeistert von den Ergebnissen: „Im Prinzip können wir damit sogar verschiedene Fleischarten nachahmen, also beispielsweise Fleischersatz herstellen, der dieselbe Konsistenz hat wie ein zartes Rindersteak. Oder solchen, der sich mehr nach Hühnchen anfühlt, eben ganz, wie vom Konsumenten gewünscht.“

Die experimentellen Ergebnisse konnten von den Fraunhofer-Forschern mit Hilfe von Simulationen ergänzt werden. Es wurde numerisch erneut bestätigt, wie groß der Einfluss des Parameters Temperatur und vor allem der unterschiedlichen Temperaturraten ist. Wenn die Abkühlrate des Extrudats im letzten Schritt zu niedrig war, entstand keine Phasenseparation. War die Rate wiederum zu hoch, entstanden vertikale Schichten, die ebenfalls nicht erwünscht waren. Bei einer mittleren Abkühlrate erhielten die Forscher Schichten, die sich parallel zur Strömung orientierten und gleichzeitig senkrecht zum Temperaturgradienten (siehe Abbildung 2). „Genau diese Orientierung führt zu einer fleischartigen Konsistenz im Endprodukt“, sagt Dr. Ganzenmüller. Damit wurde validiert, dass die Faserstrukturen einer im Extruderverfahren bearbeiteten Erbsenproteinmischung mithilfe von Temperatur und Strömungsrichtung so beeinflusst werden können, dass sie in ihrer Konsistenz „echtem“ Fleisch nahekommen.

Zum Abschluss des drei Jahre dauernden Projekts sind die Forscher stolz auf ihre Ergebnisse: „Obwohl wir unsere ursprüngliche Zielsetzung im Projektverlauf anpassen mussten, konnten wir neue, wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die mit der Nahrungsmittelproduktion in einem Bereich Verwendung finden können, der für nachhaltige Entwicklung von größter Bedeutung ist“, führt Dr. Ganzenmüller aus. Aber auch weit über diesen konkreten Anwendungsfall hinaus, bietet die neu entwickelte Methodik Chancen. Die Wechselwirkung zwischen Phasenseparierung und typischen Temperatur- und Stromgradienten im Extrusionsverfahren wurde im Projekt erstmal mithilfe eines einfachen thermodynamischen Modells beschrieben. Mit der Entwicklung geeigneter Simulationsmodelle können die experimentell gewonnenen Ergebnisse und Mechanismen außerdem prinzipiell zur Erklärung verschiedenster möglichen Strukturen verwendet werden, die durch Extrusionskochprozesse entstehen. Die Forscher von Uni Freiburg und Fraunhofer EMI planen deshalb auch, in einem Folgeprojekt diese Mechanismen und Simulationen weiterzuentwickeln. Dabei geht es zum einen um eine Verfeinerung der verfügbaren Auflösung und zum anderen darum, ein Tool für die Vereinfachung der Simulation zu entwickeln, damit diese zur Optimierung industrieller Produktionsprozesse genutzt werden kann. Insgesamt war die interdisziplinäre Arbeit erfolgreich und die Partner sind froh, voneinander und miteinander gelernt zu haben.